Kaum rückt die Polizei mit einem Großaufgebot, Bagger, Drohne und Leichenspürhunden an, sind sie auch da - Schaulustige. Zu ihnen gehört eine ganz besondere Spezies: Hobby-Detektive. Die aktuellen Ermittlungen im Fall Rebecca werfen ein Schlaglicht auf diese Szene. Seit Jahren recherchieren die Laienermittler und tauschen sich in Foren aus. Bei den Einsätzen in Brandenburg sind sie derart präsent, dass die Profis warnen: «Bitte nehmen Sie von weiteren eigenen Ermittlungen bis auf Weiteres Abstand!»
«Ich und ein paar Leute suchen seit einigen Jahren die Stellen ab, an denen man was verschwinden lassen könnte», sagt einer der Anwesenden an diesem Oktobertag in der brandenburgischen Gemeinde Rietz-Neuendorf. Parkhäuser, Dorfteiche, Bunkeranlagen und Weiher hätten sie schon durchkämmt, berichtet der Mann. Als Hobby-Ermittler sieht er sich nicht. Nein, das sei «einfach ein Helfersyndrom, keine Ahnung», sagt der Mann. «Ein zeitintensives Hobby.»
Hoffnung auf den entscheidenden Hinweis
Auch in der benachbarten Gemeinde Tauche verfolgt ein Mann mit Basecap den Polizeieinsatz rund um das Grundstück der Großeltern des Hauptverdächtigen im Fall der seit mehr als sechs Jahren verschwundenen Rebecca genau. Er sammelt nach eigenen Angaben Hinweise von Menschen und gibt sie an Behörden weiter. «Irgendwann ist vielleicht mal das Entscheidende dabei. Das ist unsere Intention», sagte er. Und betonte: «Wir wollen kein Geld.»
Seit dem 18. Februar 2019 fehlt von der damals 15 Jahre alten Rebecca aus dem Berliner Bezirk Neukölln jede Spur. Ihr Schwager steht im Fokus der Ermittlungen. Die Polizei geht davon aus, dass der inzwischen 33-Jährige die Jugendliche getötet hat. Der Mann bestreitet das. Verdächtig ist unter anderem, dass der pinkfarbene Kleinwagen der Familie im Anschluss auf der Autobahn Richtung Polen erfasst wurde.
Livestreams zur Spurensuche
Seit dem Verschwinden des blonden Mädchens gibt es eine Reihe von Laienermittlern, die sich auf Spurensuche begeben. Viele dokumentieren per Videos oder lassen über Livestreams ihre Follower auf Social Media an ihren Bemühungen teilhaben.
Für diese Form des Ermittelns von Laien, die im Netz und in den sozialen Medien auf Spurensuche gehen, gibt es den englischen Fachbegriff «Websleuths». Die Medienwissenschaftlerin Anne Ganzert beschäftigt sich mit diesem Phänomen und leitet ein sechsjähriges Forschungsprojekt an der Philipps-Universität Marburg, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit rund 1,8 Millionen Euro unterstützt. «Wir wollen die Amateurermittlungspraxis im digitalen Kontext verstehen», erklärt Ganzert.
Schnelle Korrekturen in Foren
«Mir geht es darum, zu untersuchen, wie die Leute zusammenarbeiten, die Arbeit strukturieren und wie in dieser Community Wissen erzeugt wird», so die Wissenschaftlerin weiter. Der Austausch erfolge größtenteils im digitalen Raum. «Gleichwohl ist das Ganze sehr sozial, weil ganz viel im Austausch passiert.», Ganzert nennt ein Beispiel aus einem der Foren zu Rebecca: Ein Mensch schreibt, der Hauptverdächtige sei bei der Autofahrt geblitzt worden. «Das korrigiert sofort jemand: „Moment, der wurde nicht zweimal geblitzt, sondern er ist durch eine Anlage mit einer Kennzeichenerfassung gefahren".»
Das Verschwinden von Rebecca zählt bei deutschen True-Crime-Fans zu den bekanntesten ungelösten Fällen, wozu auch ein Investigativ-Podcast beitrug. Doch was sind die Beweggründe?
Faszination des Ungelösten
«Ganz viele Menschen haben diese Faszination für das Ungelöste oder das Mysterium», sagt Ganzert. Die ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY… Ungelöst» trägt bereits seit 1967 das Verbrechen in die deutschen Wohnzimmer - und fordert Zuschauer auf, Beobachtungen der Polizei mitzuteilen, um so bei der Aufklärung eines bislang ungelösten Falls beizutragen.
Heutzutage findet die Verbrecherjagd zunehmend in anderen Medien statt - und das Genre True Crime erlebt einen regelrechten Aufschwung. «Im Prinzip ist es nur die digitalisierte Variante davon, dass Leute sich einlesen, herumstöbern, ein bisschen Recherche betreiben», meint die Wissenschaftlerin.
Uraltes Phänomen
«Ich glaube, das ist eine neue Ausprägung von einem uralten Phänomen. Es gab schon im Mittelalter Mordballaden, die die Leute fasziniert haben. Und im alten Ägypten gab es einen Papyrus von 1200 vor Christus, der eine Verschwörung zum Mord eines Pharaos schildert und zirkuliert ist», schildert sie. Im viktorianischen England - der Zeit von «Jack the Ripper» - gaben die Gefängnisse Kalender mit Fällen und Taten ihrer schlimmsten Insassen heraus.
Neben der Faszination für die «Abgründe des Menschen» kann ein persönlicher Bezug zu einem Verbrechensopfer - etwa, weil man die gleiche Schule besucht hat - ein besonderes Interesse auslösen. «Und dann haben wir noch eine Komponente, bei der Amateure und Amateurinnen davon ausgehen: Wenn ich den richtigen Hinweis finde, dann wird sich das alles schön und fein auflösen», erklärte Ganzert.
Ab und an funktioniert das. Doch den Alltag schildern professionelle Ermittler anders. «Die sagen: In der realen Ermittlungspraxis geht das nicht immer so hübsch daher, wie in so einer fiktiven Krimi-Serie. Uns fällt nicht irgendwann der entscheidende Fingerabdruck in den Schoß», berichtet Ganzert.
Behinderungen durch «Hobby-Ermittler»
Im schlimmsten Fall behindern Hobby-Ermittler die Arbeit der Profis, etwa indem sie durch Wälder streifen und Spuren zerstören oder Verdächtige durch ihre Recherchen vorwarnen, sodass diese wichtige Beweise vernichten können.
Polizei und Staatsanwaltschaft sind darum in puncto Laienermittlern äußerst kritisch: «Nicht nur, dass sie die Ermittlungen konkret behindern, indem sie zum Beispiel Spuren vernichten können», so der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Michael Petzold. Teils begingen die «Hobby-Ermittler» auch selbst Straftaten und störten die Polizei damit bei ihrer Arbeit.
Copyright 2025, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten